Mag. Elke Novak-Rabenseifner, Rechtsanwältin
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Checklist „dawn raid“

Juli 29th, 2008

Hausdurchsuchung durch Europäische Kommission und/oder Bundeswettbewerbsbehörde. Was tun?

Bei Verdacht von Kartellverstößen haben die europäischen bzw nationalen Wettbewerbsbehörden das Recht, Hausdurchsuchungen (Nachprüfungen) in Unternehmen durchzuführen und dabei Dokumente und andere relevante Beweismittel (Akten, e-mails usw) zu beschlagnahmen.

Sollte in Ihrem Unternehmen eine solche behördliche Maßnahme stattfinden, dann sind nachstehende Regeln unbedingt einzuhalten:

I. Allgemeines

Hausdurchsuchungen finden in der Regel im Zeitraum zwischen 9 und 10 Uhr vormittags statt. Dies deshalb, um zeitgleiche Untersuchungen in zeitverschobenen Zonen zu ermöglichen. Im Regelfall erscheinen die Wettbewerbshüter in Teams zwischen 6 und 8 Personen. Handelt es sich um eine Hausdurchsuchung welche ein von der Europäischen Kommission geführtes Verfahren betrifft, dann sind zumindest 3 Kommissionsbeamte, mehrere Beamte der Bundeswettbewerbsbehörde und Vertreter der nationalen Sicherheitsbehörden anwesend.

II. Nachprüfungauftrag/Durchsuchungsbefehl

Die Behördenvertreter müssen den Durchsuchungsbefehl bzw Nachprüfungsauftrag vorweisen, welcher genauestens zu lesen ist. Aus dem Dokument ergibt sich der Zweck der Untersuchung und ist auch genau der Zeitraum angegeben, auf den sich die angeblichen Verstöße beziehen. Dieses Mandat der Behörde ist Richtschnur jeder Maßnahme und darf keinesfalls überschritten werden.

III. Erstkontakt/Verständigungen

Jeder Mitarbeiter, der als Erster mit den Behörden in Kontakt tritt, verständigt umgehend den Geschäftsführer bzw Vorstand des Unternehmens. Parallel dazu verständigt der Mitarbeiter soweit vorhanden den Leiter der Rechtsabteilung und den externen Anwalt. Gibt es im Unternehmen eine Rechtsabteilung, dann wartet die Behörde das Erscheinen des externen Anwalts nicht ab. Ist keine Rechtsabteilung vorhanden, dann sollte der Geschäftsführer darauf bestehen, dass zumindest bis zum Eintreffen des Anwalts mit weiteren Maßnahmen zugewartet wird. In der Zwischenzeit sollte festgestellt werden, ob die Durchsuchung nur an diesem Unternehmensstandort, oder auch an anderen Standorten des Unternehmens durchgeführt wird.

IV. Kooperation mit Behörden

Der Geschäftsführer bzw der Vorstandsvorsitzende des Unternehmens sollte sich fragen, ob allfällig relevante Dokumente außer Haus zum Beispiel in Fahrzeugen oder in Privathäusern verwahrt werden. Mit den Behörden sollte vereinbart werden, mit welchen Mitarbeitern sie sprechen wollen.

V. Information der Mitarbeiter

Die Geschäftsleitung übermittelt ein vorbereitendes Mail an alle Mitarbeiter, in dem ihnen mitgeteilt wird, dass eine behördliche Maßnahme im Zusammenhang mit potenziellen Gesetzesverstößen stattfindet. Die Mitarbeiter werden bereits im Vorfeld angewiesen, in einem solchen Fall keinerlei E-mails betreffend des Vorfalls zu versenden bzw auch keine Telefonate mehr zu führen.

VI. Was nimmt die Behörde mit?

Die Behördenvertreter haben das Recht, Dokumente herauszuverlangen bzw in den E-mail Verkehr Einsicht zu nehmen. Sie sind aber nicht befugt, die gesamte EDV-Anlage mitzunehmen. Prüfen Sie genauestens, ob sich Dokumente, die rechtlich privilegiert sind (Anwaltsprivileg) übergeben werden sollen. Besteht Streit darüber, ob die Behörde ein gewisses Dokument mitnehmen darf bzw darin Einsicht nehmen darf oder nicht, dann verschließen Sie diese Dokumente in einem Umschlag und vereinbaren mit der Kommission, dass diese Dokumente dem Gericht vorgelegt werden und erst nach Freigabe des Gerichts die Kommission das Recht hat in die Dokumente einzusehen (envelope procedure). Üblicherweise setzen sich die Kommissionsvertreter an einen Computer und geben gewisse Suchbegriffe in den E-mailverkehr bzw in die Dokumente ein. Wählen die Behördenvertreter diese Vorgangsweise, dann können Sie sich sicher sein, dass ein „whistle blower“ (Kronzeuge) der Behörde bereits relevante Unterlagen übermittelt hat. Grundsätzlich verhalten Sie sich kooperativ. Zerstören Sie keinesfalls Dokumente.

VII. Schattenspiel

Stellen Sie sicher, dass kein Behördenvertreter unbeaufsichtigt im Unternehmen herumspaziert. Keinesfalls darf der Behördenvertreter mit einem Mitarbeiter allein sprechen. Jedem Behördenvertreter wird ein „Schatten“ zugeordnet, der die Handlungen auf ihre Rechtmäßigkeit überwacht. Lassen Sie von allen Dokumenten, die übergeben werden, Kopien anfertigen. Stellen Sie sicher, dass Sie zu jedem Zeitpunkt wissen, welche Dokumente Sie an die Behörde übergeben haben.

VIII. Ende der Übung! Next steps

Die Maßnahme dauert im Üblichen ca bis 16 Uhr. Wenn die Behördenvertreter das Unternehmen verlassen haben, berufen Sie umgehend eine Vorstands- bzw Geschäftsführersitzung unter Beiziehung externer Rechtsberater ein. Sie haben jetzt ca 2 Stunden Zeit, eine Entscheidung darüber zu treffen, ob Sie einen allfälligen Kartellverstoß zugeben und der Behörde zusätzliche Unterlagen zur Verfügung stellen, aus denen sich der Kartellverstoß ergibt. In diesem Fall kommen Sie in den Genuss der so genannten „leniency“, das heißt es wird Ihnen Strafmilderung gewährt. Der Zeitraum, um diese Entscheidung zu treffen, ist allerdings tatsächlich sehr kurz, wenn parallel Untersuchungen in anderen Unternehmen durchgeführt werden. Dabei geht es wirklich um Minuten. Wenn ein Mitbewerber bzw ein anderes Kartellmitglied Ihnen zuvorkommt, dann kann das finanzielle Folgen haben, die beträchtlich sind. Fragen Sie sich selbst, welche Informationen könnten Mitbewerber bereits der Behörde übergeben haben.

Wenn Sie unmittelbar nach Abschluss der Maßnahmen eine Pressemitteilung aussenden, in der Sie von den Maßnahmen berichten und der Öffentlichkeit gegenüber zum Ausdruck bringen, dass Ihr Unternehmen kooperiert, dann sollten Sie keinesfalls gegenüber den Medien Unrichtigkeiten behaupten. Denken Sie daran, wenn Sie ein börsenorientiertes Unternehmen sind, dass diese Maßnahmen unmittelbaren Einfluss auf den Börsenkurs haben.